Starke Frau im Drostenhof: Ausstellung erzählt vom Leben der Jo Mihaly

Münster-Wolbeck. Wie kommt eine 12-Jährige dazu, ein Tagebuch über den Ersten Weltkrieg zu schreiben, später in „Auch wenn es Nacht ist“ über Flucht und Vertreibung aus dem Osten 1945? Das sind nur zwei Aspekte des Lebens der 1902 geboren Tänzerin, Schriftstellerin und engagierten Sozialaktivistin Jo Mihaly.  Über sie informiert seit Dienstag eine reichhaltige, sehr konzentrierte Kabinettausstellung im Westpreußischen Landesmuseum in Münster-Wolbeck.

Ihr Lebensweg führte Jo Mihaly, geboren als Elfriede Alice Kuhr, nach der Kindheit in Schneidemühl (heute das polnische Pilna) in der Provinz Posen im Regierungszirk Bromberg, nahe der Grenze zu Westpreußen, nach Berlin. Schon Mihalys Mutter, eine Musikpädagogin, schrieb („Wenn Märchentante erzählt“). Die Tochter schuf eine eigene Form sozialkritischer „epischer Tänze“, engagierte sich für soziale Zwecke und schrieb Titel wie „… da gibt’s ein Wiedersehn“, „Das Leben ist hart“, „Ballade vom Elend“, „Wir verstummen nicht“ oder „Vorspiel zu einer Philosophie der Landstraße“, erschienen im „Verlag der Vagabunden“. Mihaly fühlte sich früh zu Roma und Sinti hingezogen und beteiligte sich in der Weimarer Republik am Bund der Vagabunden, in dem neben Nichtsesshaften auch viele Intellektuelle engagiert waren, auch Bertolt Brecht. Thomas Mann und Lion Feuchtwanger haben ihr literarisches Werk geschätzt, sagte am Dienstagnachmittag Thomas Schumann aus Hürth, der sich als Herausgeber vergessenen Künstlern der Weimarer Republik widmet und den literarischen Nachlass von Mihaly verwaltet.
Mihaly, früh gegen Antisemitismus und NSDAP aufgetreten, war nach 1933 eine der aktivsten Gestalten des Schweizer Exils. 1945 war sie daran beteiligt, den schon in der Weimarer Republik existierenden „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ SDS wieder ins Leben zu rufen. Die Kommunistische Partei entsandte Mihaly 1945 ins Frankfurter Stadtparlament. Als die stalinistische Repression zunahm, trat Mihaly 1949 aus der Partei aus und lebte im Tessin als freie Autorin.
Die Ausstellung in Wolbeck soll der Start einer Tournee in Deutschland sein, die auch nach Stuttgart und München führt, so Dr. Walter Engel, Direktor der Stiftung „Gerhart-Hauptmann-Haus. Deutsch-osteuropäisches Forum“, die an der Ausstellung beteiligt ist. Die Idee kam von Schumann, berichtet Engel. Die Nähe ihres Geburtsortes zu Westpreußen griff Dr. Lothar Hyss, Direktor des Westpreußlischen Landesmuseums, gern auf, um sein Museum mit der vielseitigen, aber in Vergessenheit geratenen Mihaly zu bereichern.
Die Vorbereitung dauerte ein gutes halbes Jahr, sagte die im Landesmuseum tätige Kunsthistorikerin Jutta Fethke. Aus der Materialfülles des „Enthusiasten“ Schumann, wie Engel ihn unwidersprochen nannte, machte Fethke eine vermittelbare und den räumlichen Möglichkeiten entsprechende Ausstellung.
Die Ausstellung dokumentiert dieses ungewöhnliche Leben anhand von Büchern, Bildern, Fotos, Dokumenten Briefen und Manuskripten und ist bis zum 8. Januar zu sehen. 

Jo Mihaly: Leben

Jo Mihaly wurde 1902 als Elfriede Alice Kuhr in Schneidemühl, Pommern geboren. Nach einer Ausbildung im klassischen Tanz wurde sie Mitglied des Haas-Heye-Balletts Berlin. Von 1923-25 machte sie Tourneen in Deutschland, Auftritte in Varietes und im Zirkus. An der Volksbühne lernte sie den Schauspieler und Regisseur Leonard Steckel kennen, den sie später heiratete. 1928-33 trat sie als Solotänzerin mit eigenen, sozialkritischen Programm auf, u.a. "Die Verfolgung der Juden" und "Vision des Krieges". Seit 1927 schrieb sie Gedichte. Politisch engagierte sie sich besonders für die Rechte der Sinti u. Roma. 1931-33 war sie Mitglied der "Rote Gewerkschafts-Opposition", der "Rote Hilfe" und des "Freidenkerbundes".
1933 emigrierte sie mit ihrem Mann in die Schweiz und lebte bis 1949 in Zürich. Sie veröffentlichte Feuilletons und Artikel unter Pseudonymen in Schweizer Zeitungen und trat weiter als Tänzerin und Sängerin auf. Mihaly engagierte sich weiter für Flüchtlinge und hatte Kontakt zu Widerstandsgruppen in Deutschland. 1943 wurde sie Mitgründerin und Vorsitzende der Kulturgesellschaft der Emigranten innerhalb der israelischen Flüchtlingshilfe in Zürich. Weiterhin war sie Mitgründerin der Freien Deutschen Bewegung in der Schweiz. 1945 wurde sie Gründerin und Sekretärin des SDS. Von Oktober 1945 bis Juli 1946 arbeitete sie in Frankfurt/M., wurde von den US-Behörden aber an der Rückkehr in die Schweiz gehindert. Sie gründete die Freie Deutsche Kulturgesellschaft in Frankfurt/M. und war Mitglied der dortigen städtischen Kulturkommission. Ab 1949 arbeitete sie als freie Schriftstellerin in Ascona; schrieb Romane, Erzählungen, Gedichte und Jugendbücher. Jo Mihaly starb 1989 in Ascona.