Münster-Wolbeck. Etwa 60 Menschen beteiligten sich am Montagabend in Wolbeck am Gedenken zur Reichspogrom-Nacht des 9. November 1938. Ein Nachkomme einer Wolbecker Familie ging mit und sprach zum Abschluss zu den Teilnehmern.
Es begann in der evangelischen Christuskirche. Dort las Dr. Gudrun Beckmann-Kircher aus einem Gedicht von Stephan Hermlin, verfasst 1949 bei einem Besuch im KZ Auschwitz: „Die man ins Gras sandte, Waren des Lebens voll, Liebten die Dämmerung, Den Drosselschlag, waren jung“. Hinter ihr stand vor dem Altar eine eingerahmte Zeichnung: „Die Synagoge“. Mit Kerzen zog eine lange Schlange hinüber zum ehemaligen jüdische Friedhof am Helmut-Pins-Weg.
Die Namen aller Opfer wurden verlesen, allein sieben der Familie Falke; die Teilnehmer stellten für jeden eine Grabkerze vor der Stele mit ihren Namen auf. Grabsteine gibt es dort nicht mehr.
Ebenfalls keine originale Substanz gibt es an der nächsten Station an der Wallstraße, dem Standort der früheren Synagoge. „Die Synagoge war am 10. November eine Ruine“, berichtet Peter Schilling aus seinen Forschungen. Schon Monate zuvor, im Frühjahr 1938, war „eine Gruppe betrunkener Wolbecker, von Kameraden aufgehetzt“ in die Synagoge eingebrochen. Sie zerschlugen Scheiben, warfen die Thora-Rolen auf die Straße und nahmen Gebetsbücher mit. „Das war keine befohlene Aktion“, sagt Schilling. „Ein Riss ging durch den Ort. Die jüdischen Familien wussten ,dass sie nicht mehr dazu gehörten.“ Angeklagt wurden die Täter nie. 1948 äußerte ein Leserbrief den Wunsch: „Wann wird hier endlich etwas unternommen gegen die Brandstifter aus dem Jahre 1938?“ Damals hätten sie sich nicht gescheut, „sich mit ihren Heldentaten zu brüsten, die sie an Wehrlosen und toten Gegenständen vollbrachten. Heute meiden sie das Tageslicht. Aber ihre Namen sind bekannt und nicht vergessen.“
Sohn Wolbecker Juden dankt und sieht sich durch Begegnungen erleichtert
In der Kirche St. Nikolaus sprach Ernst Swensson, Sohn einer Wolbecker Familie. Über die Niederlande war die Familie nach Moskau emigriert, wo er 1937 geboren wurde. Dann ging es nach Stockholm, nach dem Krieg in die Sowjetisch-Besetzte Zone, die DDR. Heute lebt er auf Rügen.
Swensson dankte den Teilnehmern, „dass Sie so zahlreich erschienen sind“. Die Flucht wirke nach, aber durch Besuche und Begegnungen in Wolbeck habe er etwas von seiner inneren Unruhe verloren.
2011 hatte er an einer Gedenkveranstaltung im Drostenhof teilgenommen und pflegt seither den Kontakt zu den Schillings. Am Montag besuchte er eine Klasse der Annette-Schule, am Dienstag eine Oberstufen-Klasse des Gymnasiums Wolbeck.