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Völkisches Denken? GfbV wehrt sich gegen Anschuldigungen aus der „Antifa“

Unter dem Titel "Lächerliche Anschuldigungen der Antifa Münster gegen die GfbV" widersprach im Vorfeld der Gegen-Kundgebung zur Demonstration von Rechtsextremen in Münster Dr. Kajo Schukalla Behauptungen, die Gesellschaft für bedrohte Völker pflege "völkisches Denken". Die Demonstrationen fanden am 18.02.2006 statt. Wir dokumentieren seine Stellungnahme.

"Lächerliche Anschuldigungen der Antifa Münster gegen die GfbV"

"Die Neonazis haben für Samstag, den 18. Februar 2006 eine Demonstration in Münster angekündigt, die zu Recht Empörung bei allen Demokraten ausgelöst hat. In Münster hat auch die Gesellschaft für bedrohte Völker in den Medien zur Beteiligung an den friedlichen Gegendemonstrationen aufgerufen und wird sich dort auch beteiligen.

Neben den demokratischen Parteien und vielfältigen Gruppierungen unserer Zivilgesellschaft gibt es aber obskure Vereinigungen selbsternannter Antifaschisten, die ohne politischen Realitätsbezug extremistische Positionen einnehmen und demokratisch orientierte Organisationen und Gremien mit ihrem Kübel Unrat überschütten. Die Rede ist hier von einem aktuellen Aufruf der "Offenen Antifa Münster (OAM)" unter dem Titel "Nazis kommen und gehen – das deutsche Volk bleibt", unverkennbar ein nur leicht abgewandeltes Stalin-Zitat. Wieder einmal verbergen sich hier die Autoren in der Anonymität der "Offenen" Antifa..

Im Visier haben sie weniger Neonazis als Einrichtungen, die sie "völkischer Ideologie" verdächtigen, so die Universitäts-Institute der Politikwissenschaft, der Islamwissenschaften, der Ethnologie und des Sonderbereichs der Friedens- und Konfliktforschung. Selbst die Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) und der Ausländerbeirat der Stadt Münster, der sich wie kein anderer in der Stadt um interkulturelle Aktivitäten und Aufklärung über extremistische Ideologien verdient gemacht hat, bleiben in diesem Pamphlet nicht ungeschoren.

Besondere Angriffsflächen glauben diese sogenannten Antifas aber bei der Gesellschaft für bedrohte Völker ausgemacht zu haben. Auf einige Punkte der Anschuldigungen will ich hier eingehen:

Auf der Internetseite wird behauptet, dass in einer im Mai 2002 gemeinsam mit dem Ausländerbeirat und der Palästinensischen Gemeinde von der Gesellschaft für bedrohte Völker ausgerichteten Veranstaltung Jamal Karsli eingeladen worden sei. Der seinerzeit von den Grünen zur FDP übergetretene Landtagsabgeordnete war durch seine antisemitischen Äußerungen zu Recht in die öffentliche Kritik geraten. Wir halten es zwar grundsätzlich für legitim, auch Podiumsdiskussionen zu nutzen, solchen Positionen entgegen zu treten. Im konkreten Fall war aber die Gesellschaft für bedrohte Völker weder Veranstalter noch haben wir an der Diskussion als Diskussionsteilnehmer oder auch nur als Zuhörer teilgenommen.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat weder in Münster noch andersorts den antisemitischen Positionen eines Jamal Karsli je eine Bühne geboten. Im Gegenteil sind wir in bundesweiten Presseerklärungen dem frühzeitig entgegengetreten.
Darüber hinaus haben wir wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass Karsli ein Sympathisant Saddam Husseins war, so am 24. April 2002 in einem Offenen Brief an die FDP-Parteiführung.
In seinem Bericht der Irak-Reise von 2001 mit einer regimenahen Organsiation behauptete Karsli beispielsweise, die große Mehrheit der Kurden im Mittel- und Südirak stünde hinter der Regierung Saddams. Dabei verschwieg er die schlimmsten Kurdenmassaker seit der Kurdenverfolgung der 20er und 30er Jahre in der Türkei. Allein bei der "Anfal"-Offensive Ende der 80er Jahre hat Saddam Hussein durch Giftgasangriffe, durch systematische Massenerschießungen, durch die Liquidierung der überlebenden Zivilisten nach Giftgasangriffen über 180.000 Kurden ermorden lassen. 5.000 kurdische und assyrisch-christliche Dörfer wurden dabei zerstört.
Dies hätte die Antifa Münster berichten können, wenn es um unsere Aktivitäten zu Jamal Karsli geht. Doch von alledem kein Wort. Zu den Massakern selbst hörte ich auch seinerzeit seitens der Antifa-Bewegung kein Sterbenswörtchen.

Mögen derartige Fehler und verfälschende Ausblendungen noch wohlwollend durch politische Naivität und fachliche Inkompetenz erklärt werden, so wird die Grenze zur üblen Nachrede durch Behauptungen wie dieser klar überschritten:
Unserer Menschenrechtsorganisation wird ein "Engagement für die Anerkennung ethnisch und kulturell homogener Kollektive als politische Subjekte" unterstellt, ja sie wird sogar in die Nähe der französischen "Neuen Rechte" gerückt, zwei absurde, kaum noch zu überbietende Vorwürfe.

Zu den wirklichen Positionen unserer Menschenrechtsarbeit hier nur zwei Beispiele:

1. Allgemein bekannt dürfte das jahrelange starke Engagement der GfbV in Bosnien sein. Unsere Sektion in Bosnien-Herzegowina hat sich gemeinsam mit der GfbV-Sektion in Deutschland von Anfang an für den Erhalt des bosnischen Staatswesens in seinen ererbten Grenzen ausgesprochen und auch nach Krieg und Völkermord gegen eine Fragmentierung unter jeweils selbstständigen bosnisch, kroatisch und serbischen Teilen eingesetzt. Unsere Mitarbeiter im Lande gehören allen Nationalitäten und Religionsgemeinschaften an. Dass ein friedliches Bosnien nur multikulturell gestaltet sein, ist eine von uns immer offensiv vertretene Position gewesen.

Welch eine Absurdität, uns da ein Engagement für ethnisch und kulturell homogene Kollektive vorzuwerfen.

2. In Kosovo, wo wir seit dem Krieg 1999 auch mit einem Team vertreten sind, gilt unsere praktische Arbeit vor allem den Angehörigen der Minderheiten, besonders den Roma, Aschkali und Balkan-Ägyptern, die besonders Opfer der jüngsten Verfolgungen und Vertreibungen wurden und die, soweit einige wenige nach Deutschland, auch nach Münster, fliehen konnten, nun wieder von Abschiebung in eine lebensgefährliche und menschenunwürdige Situation bedroht sind.
Auch vor den jetzt beginnenden Verhandlungen über den künftigen internationalen Status Kosovos hat die GfbV immer klar Position gegen eine Aufteilung nach ethnischen Kriterien Stellung bezogen. Unmissverständlich haben wir im Rahmen unserer Lobbyarbeit politisch immer wieder gefordert, dass alle Vertriebenen in Freiheit und Sicherheit zurückkehren können müssen und nur ein multikulturell gestaltetes, mit international garantierten Minderheitenrechten ausgestaltetes Kosovo von der internationalen Gemeinschaft anerkannt und unterstützt werden sollte.

Die dumm-dreisten Unterstellungen der selbsternannten Antifaschisten über unsere angeblich "völkische" Politik, wie seitens von Extremisten der Antifa auch an anderer Stelle vernommen, sind wohl nur noch mit linksradikal ideologischer Verblendung zu erklären.

Die menschenrechtspolitischen Leitlinien der oben genannten Beispiele kennzeichnen auch unsere Arbeit vor Ort in Münster. Dazu zählen auch der Einsatz für Flüchtlinge, vor allem gruppenverfolgte Roma, Aschkali, Kurden, Tschetschenen u.a., unsere öffentlichen Veranstaltungen zu Menschenrechtsverletzungen weltweit, Angebote an Schulen und Weiterbildungseinrichtungen, Informationsangebote zur Antirassismusarbeit und politische Lobbyarbeit für die Menschenrechte verfolgter Gruppen wie einzelner Flüchtlinge.

Die internationale Dimension unserer Arbeit mag für bescheidene Gemüter beider politischer Extreme aber möglicherweise nicht recht zu ermessen sein.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker setzt sich weltweit auch für den Schutz bedrohter ethnischer und religiöser Minderheiten ein. Beispiele sind etwa Kurden in der Türkei, denen der Schulunterricht in der Muttersprache versagt wird,
kleine indianische Ethnien am Amazonas, die Opfer einer Assimilationspolitik mit all den bekannten verheerenden sozialen und kulturellen Folgen sind,
die Tibeter – Tibet wurde völkerrechtwidrig von der Volksrepublik China annektiert – die zur marginalisierten Minderheit im eigenen Land degradiert wurden,
die Angehörigen verfolgter oder diskriminierter Religionen, Christen in China oder Saudi-Arabien, Baha’i im Iran oder die Anhänger der Meditationsbewegung Falun Gong in China.

Was aber soll der Einsatz für elementare Menschenrechte und Minderheitenrechte nun mit "völkischer" Politik zu tun haben ?

In früheren Gesprächen mit Vertretern der Antifa habe ich immerhin den Eindruck gewinnen können, dass diese stark fragmentierte radikale Bewegung, deren Anhänger sich auch die "Anti-Deutschen" nennen, um der Begrifflichkeit ihrer eigenen Negativ-Sterotypisierung einmal zu folgen, mir als besonders "deutsch" erscheinen. In sattem Wohlstand und großer Freiheit aufgewachsen, nie einer existentiell marginalisierten Minderheitensituation ausgesetzt, haben sie sich eine pseudo-kritische linke Ideologie zugelegt, mit der sie in tüchtiger Vereinsmeierei mühsam konstruierte Feindbilder pflegen, dabei blind für die Nöte der Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Gut erinnere ich mich an Aufrufe und Demonstrationen von 1999, als die "Anti-Deutschen" angesichts der Massenvertreibungen (damals) der Albaner für den politisch verantwortlichen Nationalisten Milosevic auf die Straße gingen.

Die gesellschaftlichen Gefahren von Extremismus in unserem eigenen Land, die sie vorgeben, bekämpfen zu wollen, verstärken sie durch ihr Handeln erst.

Die spezifischen Probleme von Minderheiten und auch Flüchtlingen müssen ihnen so in ihrer Borniertheit verborgen bleiben.
In Göttingen konnte ich einmal zufällig erleben, wie "Antifas" sich rhetorisch mit Roma-Flüchtlingen solidarisieren wollten, ihnen aber gleichzeitig erklärten, "Ihr seid kein Volk", was die Roma nur mit ratlosem Kopfschütteln quittierten.
Rassistische Zuschreibungen auf die Angehörigen dieses sich zu Recht als europäisch verstehenden Volkes haben die Menschen erst in diese furchtbare Lage gebracht. Wer glaubt, durch Leugnung von ethnischer oder kultureller Identität Probleme beseitigen zu können, dies gar zu seinem Programm erhebt ("Es gibt überhaupt keine Völker", Originalton der selbsterklärten "Anti-Deutschen"), verdoppelt die Probleme nur noch. Positive Selbstzuschreibungen sollen aufgegeben werden, die rassistischen Fremdzuschreibungen durch Rassisten werden dadurch nur noch stärker wirksam.

Besonders die Geschichte der kommunistischen Regime hat mit Assilimierungspolitik und anderen Zwangsmaßnahmen gegenüber Minderheiten verheerende Folgen gezeigt.
Der Begriff "Volk", von den "Anti-Deutschen" sonst kategorisch in seiner Existenzberechtigung bestritten, scheint bezeichnenderweise nur durch die "Weihen" eines modifizierten Stalin-Zitates (siehe Überschrift des Pamphlets) für Antifas eine gewisse Rehabilitierung erfahren zu können.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat sich als Menschenrechtsorgnisation übrigens nie an den ideologisch aufgeladenen Theoriediskussionen um den Begriff des Volkes beteiligt. Ganz selbstverständlich nehmen wir den Begriff konstruktivistisch, mit pseudonaturhaften Erklärungen haben wir nichts zu schaffen. Schon die Fülle der ethnischen oder kulturellen oder ethno-religiösen, sich auch stets wandelnden Situationen, mit denen wir es in unserer Menschenrechtsarbeit ständig zu tun haben, lässt überhaupt nichts anderes zu. Uns geht es um konkrete Menschenrechtsfragen, nicht um ideologische Dispute.

Das Besondere unserer Arbeit ist der Aspekt des Schutzes von Gruppen- und Gemeinschaftsrechten, denn kein Mensch lebt für sich allein. Indigene Gemeinschaften denen man ihr Land nimmt, deren Wälder man einschlägt, deren Landwirtschaftsflächen man mit Stauseen flutet, vernichtet man nicht nur die Lebensgrundlage, sondern zerstört auch ihre Existenz als Gruppe. Minderheiten, die ja oft in ihren Regionen die Mehrheit stellen, denen man durch staatliche assimilatorische Vorgaben das Recht auf ihre eigene Sprache, ihre Kultur und Religion verweigert, sind die, für die wir uns einsetzen.
Und die Skala dieser spezifischen Menschenrechtsverletzungen reicht von der Diskriminierung aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten, über die Verweigerung von Sprachenrechten bis hin zu Verbrechen gegen die Menschheit, wie Massenvertreibung und Völkermord.

Die Behauptungen der Antifas über unser vorgebliches Volksverständnis, sind nichts als dümmliche Behauptungen ohne jegliche Basis.
Ideologisch aufgeladen findet sich diese Diskussion des Volksbegriffs heute fast nur noch bei den Rechtsaußen und den Linksaußen wie der Antifa, eine denkwürdige Gemeinsamkeit.

Auch die Bezüge und Aussagen zum geplanten Zentrum für Vertreibungen
beweisen Blindheit auf mindestens einem Auge. Natürlich ist der Vorwurf unsinnig, dass dort die Geschichte das Zweiten Weltkrieges aus deutscher Opferperspektive" umgeschrieben werden solle. Zu den Unterstützern eines Zentrums gehören übrigens immerhin Leute wie der deutsche und jüdische Journalist Ralph Giordano, übrigens auch Beiratsmitglied der Gesellschaft für bedrohte Völker, der Politikwissenschaftler Prof. Arnulf Baring, der Theologe und Bürgerrechtler Joachim Gauck, der ungarische Literatur-Nobelpreisträger Imre Kertesz, der Völkerrechtler und Direktor des Menschenrechtszentrums Potsdam Prof. Eckart Klein, der Schriftsteller György Konrad, Prof. Julius Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohns, der Politikwissenschaftler Moshe Zimmermann und Daniel Cohn-Bendit, um nur einige zu nennen. Wer könnte ihnen derartiges unterstellen.
Strittig ist allenfalls die Frage der Hauptträgerschaft. Die Einschätzungen hierzu fallen in unserer Menschenrechtsorganisation durchaus unterschiedlich aus, wie es in einer pluralen Organisation auch wohl kaum anders sein kann.
Konsens herrscht aber in der Einschätzung, dass ein mögliches Dokumentationszentrum eine gesamteuropäische Perspektive einnehmen muss.
Auch kann die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich nicht ohne den vorangegangenen Angriffskrieg Nazi-Deutschlands, des Vernichtungskrieges und Völkermordes gesehen werden. Ein Verbrechen gegen die Menschheit (against humanity), wie es die Vereinten Nationen definieren, bleibt die Vertreibung aber in jedem Fall. Eine Legitimierung der Vertreibung von Millionen, ganz überwiegend Frauen, Kinder und Alte, durch vorangegangenen Völkermord mögen die "Anti-Deutschen" sehen, wir jedenfalls nicht. Verbrechen bleibt Verbrechen.

Entsprechend dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 4. Juli 2002 halte auch ich persönlich ein europäisches Zentrum gegen Vertreibungen – als Dokumentations- und Begegnungszentrum mit Forschungsstätte – für wünschenswert, zu dessen Verwirklichung es europäische Partner und einen vorangehenden Dialog braucht.
Ganz selbstverständlich sind auch alle anderen Vertreibungsaktionen dort zu behandeln.
Worum es entscheidend geht, ist doch nicht irgendeine Form von zu Recht inkriminierter Relativierung eigener deutscher Geschichte, sondern der politische Auftrag für uns alle, nie wieder Vertreibung zuzulassen, die nicht selten mit Genozid verbunden ist.
Seit den 1970er Jahren gibt es zwischen vier und fünf Millionen neue Vertriebene alleine in den Mitgliedsstaaten des Europarates. Ihnen wird eine Heimkehr in Frieden und Sicherheit verwehrt. Vertreibung ist somit nicht nur ein Frage der Geschichte, sondern vor allem eine aktuelle Herausforderung.

Die von ihrer Substanz her eigentlich lächerlichen Vorwürfe der sich weiter in Anonymität tarnenden "Offenen Antifa Münster" entlarven sich letztlich sogar selbst.

In der Vergangenheit haben wir es wiederholt mit Angriffen verschiedener Extremismen zu tun gehabt. Aus meinem Briefkasten habe ich rechtsextreme Sudelblätter entfernen müssen, linksextremistischen Angriffe kamen vor allem übers Internet, in diesem Fall kein Zeichen für besondere Intelligenz.

In unserer unabhängigen Menschenrechtsarbeit werden wir uns auch künftig nicht von Extremisten gleich welcher Couleur beeinflussen lassen. Unbeirrt werden wir uns weiter für den Schutz der Menschenrechte einsetzen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat nichts mit "völkischer Politik", sondern steht für das Völkerrecht und den Kampf gegen Völkermord.

Münster, den 16. Februar 2006
Dr. Kajo Schukalla

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