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Unternehmensstrategie: Probleme bei der Zielgruppenbestimmung

Eines der schwierigsten Themen bei der Entwicklung einer Unternehmensstrategie ist die Bestimmung der Zielgruppe. Das liegt an mehreren Gründen. Erstens am fehlenden Wissen um Strategielehren wie zum Beispiel der engpasskonzentrierten Strategie. Zweitens an konzeptionellen Problemen dieser Strategielehren. Und drittens an neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, vor allem aus dem Bereich der Neurowissenschaften, die noch nicht in diese Strategielehren eingeflossen sind. (Autor: Stefan Merath)

Fehlendes Wissen

In den Bereich des fehlenden Wissens fällt eine Unkenntnis über das grundsätzliche Vorgehen bei der Strategieentwicklung und der Prinzipien, wie sie zum Beispiel die EKS (engpasskonzentrierte Strategie) bietet. Nach 6 Jahren Beschäftigung mit allen wichtigen Strategiekonzepten halte ich die EKS immer noch für den praktikabelsten Ansatz für Kleinunternehmen. Die EKS arbeitet mit 4 Prinzipien (Spitz statt breit, Konzentration auf den Engpass, Immaterielles vor Materiellem und Nutzen vor Gewinn) sowie 7 methodischen Schritten (1. Stärken, 2. Spezialgebiet, 3. Zielgruppe, 4. brennendstes Problem, 5. Innovation, 6. Kooperation und 7. permanentes Grundbedürfnis). Entscheidend in Bezug auf die Zielgruppe sind zwei ganz wichtige Faktoren.

Erstens sollte die Zielgruppe möglichst klein sein. Idealerweise so, dass der Gesamtmarkt etwa 10- bis 20-mal so groß ist wie die aktuelle Kapazität des Unternehmens. Damit ist man in der Lage, sehr schnell Marktführer in seinem kleinen Markt zu werden. Und für den Marktführer gelten andere – bessere – Regeln. In der Praxis sind die meisten Zielgruppen viel zu groß. Das hat zur Folge, dass die Bedürfnisse der Zielgruppe viel zu inhomogen sind, diese nicht richtig adressiert werden können und das Unternehmen zudem nach innen zu komplex wird.

Zweitens ist das, was traditionell unter einer Zielgruppe verstanden wird: z.B. Frauen ab 50 oder Arztpraxen etc. überhaupt keine Zielgruppe. Das sind lediglich Indizien für eine Zielgruppe. Nach der EKS ist eine Zielgruppe eine Gruppe von Menschen oder Organisationen mit denselben Problemen, Bedürfnissen, Wünschen oder Träumen. Michael Gerber bringt dies mit seiner Trennung zwischen demographischen und psychographischen Zielgruppen schön auf den Punkt. Frauen ab 50 sind eine demographische Zielgruppe. Wir suchen jedoch eine psychographische Zielgruppe. Zielgruppen sind also durch ihre Psychologie und nicht durch ihre äußeren Merkmale bestimmt.
Was die Sache so schwierig macht, ist die Tatsache, dass uns dann oft die Begriffe zur Beschreibung fehlen. Frauen ab 50 ist ein einfach adressierbares Kriterium. Gehe ich dann in die Tiefe – z.B. wenn ich ein Wellness-Produkt verkaufe, dann stelle ich fest, dass die Motive dahinter völlig unterschiedlich sein können: Gesundheit, Schönheit, Genuss, soziale Zugehörigkeit usw. Damit habe ich völlig unterschiedliche Teilzielgruppen, die sich durch die Bedürfnisse bestimmen und natürlich unterschiedlich adressiert werden müssen. Und für ein Kleinunternehmen heißt das zwingend, sich auf eine dieser Teilzielgruppen festzulegen.

Konzeptionelle Probleme

Hat man diese ersten Hürden genommen, kennt also das Strategiekonzept und weiß, wie Zielgruppen beschaffen sein müssen, gerät man bei der EKS in ein konzeptionelles Problem. Die EKS geht von einer Schrittfolge aus. Im Schritt 3 bestimme ich die Zielgruppe und im Schritt 4 das brennendste Problem der Zielgruppe.

Jetzt ist aber die Zielgruppe eine Gruppe von Menschen oder Organisationen mit gleichen Problemen, Bedürfnissen, Wünschen oder Träumen – und zwar im Hinblick auf das subjektiv wichtigste dieser Probleme, Bedürfnisse oder Wünsche. Wenn ich in Phase 3 die Zielgruppe bestimme, kenne ich diese Probleme jedoch noch gar nicht – die Identifikation der brennendsten Probleme geschieht ja erst in Phase 4. Und um Phase 4 durchführen zu können, benötige ich zuerst eine kleine Zielgruppe, muss also Phase 3 abgeschlossen haben. Letztlich bin ich in einem Zirkelschluss gefangen.

 

In der Praxis führt dies fast immer dazu, dass die Bestimmung der Zielgruppe und des brennendsten Problems nicht zwei nacheinander folgende Schritte sind, sondern dass man mehrfach hin und her wechselt. Man bestimmt also zuerst grob eine Zielgruppe, findet dann das brennendste Problem, verkleinert dann die Zielgruppe, so dass nur noch diejenigen drin sind, die dieses Problem wirklich haben, analysiert diese Zielgruppe nochmals und verkleinert sie wiederum. In meiner Beratungspraxis sind 3 bis 6 solcher Iterationsschritte durchaus normal.

 

Man könnte z.B. die Zielgruppe eines Hotels von allen Gästen auf Wellness-Reisende eingrenzen. Dann auf solche, denen es bei Wellness vor allem um Schönheit geht. Um Schönheit geht es vor allem denen, die in irgendeiner Art in der Öffentlichkeit stehen. Also könnte ich meine Zielgruppe weiter auf Celebrities eingrenzen. Mit jeder Eingrenzung der Zielgruppe sind völlig neue Aspekte in der Problem- und Bedürfnisstruktur verbunden. Und dementsprechend wären alle diese Hotels unterschiedlich aufgebaut und hätten unterschiedliche Angebote.

Da diese Schritte jeweils immer mit einem vertieften Kennenlernen der letzten Teilzielgruppe und auch gewissen Änderungsschmerzen verbunden sind, kann man nicht davon ausgehen, dass man diese 3 bis 6 Iterationen mal eben an einem Tag oder einem Wochenende macht. Oft zieht sich dies über Monate – manchmal auch Jahre – hin.

Psychologie

Der Schlüsselfaktor für die Entwicklung einer jeden Strategie ist die Nähe zur Zielgruppe. Nur wenn ich auch im Dunkeln in den Köpfen der Mitglieder meiner Zielgruppe ein und aus spazieren gehen kann, kann ich zielsicher eine Strategie entwickeln. Und ich kann am ehesten im Dunkeln in den Köpfen anderer spazieren gehen, wenn ich erstens viel mit diesen Menschen zusammen bin und zweitens starke Emotionen gegenüber diesen Menschen habe – vorzugsweise positive Emotionen. Wenn Ihnen die Menschen, für die Ihr Unternehmen Produkte oder Leistungen erbringt, egal sind, werden Sie niemals dauerhaft eine gute Strategie verfolgen können. Mit anderen Worten: Der Schlüsselfaktor für die Auswahl der Zielgruppe ist die Intensität Ihrer Beziehung zu den Mitgliedern der Zielgruppe.

Neben Ihrer eigenen Psychologie spielt aber auch die Psychologie Ihrer Kunden eine immens wichtige Rolle. Und auch hier kommt es zu einem schwerwiegenden Missverständnis. Bislang ging man davon aus, dass ein Unternehmen seinem Kunden einen möglichst hohen Nutzen bringen muss. Die Idee dahinter ist die, dass der Kunde ein rational entscheidendes Wesen ist. „Nutzen“ ist ja eine rationale Kategorie. Nach den Erkenntnissen der Neurowissenschaften aus den letzten 20 Jahren ist der Mensch jedoch nicht vorrangig rational. Der Mensch entscheidet emotional, unbewusst und oft entgegen seinem Nutzen.

In den USA gab es eine Untersuchung, warum Menschen Demokraten oder Republikaner wählen. Klassisch ging man davon aus, dass Menschen rational die Parteiprogramme (oder was sie davon kennen) gegeneinander abwägen und die Partei wählen, die ihnen den größten Vorteil bringt. Die Untersuchung brachte zum Vorschein, dass dies nicht so ist: Die Menschen wählten eine der beiden Parteien weil sie Republikaner oder Demokraten waren – es war eine Frage der Identität oder des Selbstbilds. Das war selbst dann noch so, wenn die jeweils andere Partei den Wählern einen größeren Nutzen gebracht hätte. Und selbst dann noch, wenn die Wähler dies wussten!

Es gab einer weitere Untersuchung in den USA: Wer kauft Schornsteinreinigungsmittel? Das Ergebnis war, dass nicht die mit den schmutzigsten Schornsteinen, sondern die mit den saubersten Schornsteinen die Käufer waren. Den Menschen mit den schmutzigen Schornsteinen war es schlicht und ergreifend egal, ob ihr Schornstein verrußt war, während sich der Putzfimmel der anderen sogar auf die Innenseite der Schornsteine erstreckte. Die Menschen kauften also nicht nach dem Nutzen, sondern nach Ihrer Identität: „Ich bin ein Sauberkeitsfanatiker“ oder „Ich bin ein Schmutzfink“.

Wenn dem so ist, dann heißt das auch, dass eine Zielgruppe nur in den wenigen Bereichen, in denen streng nach Nutzen entschieden wird (das sind weniger Bereiche als man glaubt), eben auch nach den (rationalen) Problemen und dem zugehörigen potenziellen Nutzen gebildet werden kann. Oftmals fährt man mit einer Zielgruppenbildung entlang emotionaler Motive oder gar der Identität und dem Selbstbild der Menschen (oder Organisationen) wesentlich besser.

 

Damit stellt sich die Frage, wie man Menschen nach diesen Motiven erfassen kann. Hierzu gibt es viele verschiedene Modelle. Alle haben gewisse Schwächen – einige sind ziemlich nützlich. Ich persönlich halte das Zürcher Modell der sozialen Motive und die daraus entwickelte Limbic Map von Hans Georg Häusel einerseits und das Modell von Tony Robbins andererseits für die beiden Modelle mit der höchsten Erklärungskraft und dem größten praktischen Nutzen.

Im Modell von Hans-Georg Häusel wird von drei Grundmotiven: Balance, Stimulanz und Dominanz ausgegangen. Alle menschlichen Emotionen und Motive sind nun Mischformen. Zum Beispiel ist das Abenteuerbedürfnis eine Mischform aus Stimulanz und Dominanz. Und Wellness hat vorrangig mit Balance zu tun, dem ein Schuss Stimulanz beigeordnet ist. Poesie liegt eher im Bereich Stimulanz mit einem Schuss Balance. Und so weiter.
Dieses Modell halte ich für das wissenschaftlich modernste und abgesichertste (und sämtlichen DISG-, HDI- und ähnlichen Modellen für überlegen). Dennoch hat es Grenzen: Die Bedürfnisse nach persönlichem Wachstum oder nach Sinn – also das, was bestimmte Menschen als eher spirituelle Bedürfnisse bezeichnen – lassen sich in diesem Modell nicht schlüssig erfassen.
Hier hilft das Modell von Tony Robbins weiter, der von sechs grundsätzlichen Bedürfnissen ausgeht: Dem Wunsch nach Sicherheit und dem gegenteiligen Wunsch nach Unsicherheit. Dem Wunsch nach Bedeutsamkeit und dem gegenteiligen Wunsch nach Zugehörigkeit/Liebe. Und schließlich den Wünschen nach persönlichem Wachstum und nach Sinn/Geben. Auch hier lassen sich menschliche Emotionen gut einordnen.
Beides sind jedoch bis zu diesem Punkt ziemlich grobe Modelle. Wenn ich z.B. heraus finde, dass meine Zielgruppe sehr Sicherheits- bzw. sehr Balance-orientiert ist, dann weiß ich natürlich schon mal mehr als die meisten anderen Unternehmer. Aber mir fehlt noch etwas ganz Entscheidendes.
Jeder Mensch hat nämlich Vorstellungen, Regeln, Erfahrungen, Bilder etc., also Glaubenssätze im Kopf, wie er zum Beispiel sein Sicherheitsbedürfnis (oder jedes andere Bedürfnis) erfüllen kann. Manche erfüllen dies über Geld. Der Glaubenssatz dazu: Je vermögender ich bin, desto eher kann ich auf Krisensituationen reagieren und bin für die Zukunft abgesichert. Andere erfüllen dies über einen möglichst großen Freundeskreis. Der Glaubenssatz: Wenn es mir schlecht geht, ist immer jemand da, der mir hilft. Wieder andere erfüllen dies über möglichst hohe Kompetenzen in bestimmten Krisensituationen. Der Glaubenssatz: Je höher meine Fähigkeiten, desto weniger kann ich durch irgendetwas überrascht werden. Und wieder andere erwarten diese Sicherheit einfach von außen. Der Glaubenssatz: Der Staat (die Familie etc.) ist für meine Sicherheit verantwortlich.

 

Wohlgemerkt: Allen ist die Sicherheit wichtig! Aber dem ersten kann ich eine Lebensversicherung, dem zweiten ein enges Wohnumfeld, dem dritten ein Seminar und dem vierten die SPD verkaufen. Mit anderen Worten: Kenne ich das Grundbedürfnis meiner Zielgruppe, dann fängt die Arbeit eigentlich erst richtig an: Welche Vorstellungen und Ideen hat diese Zielgruppe im Kopf, wie sie dieses Grundbedürfnis befriedigen kann? Welche Geschichten „beweisen“ den Mitgliedern meiner Zielgruppe, dass ihr Weg der richtige ist?
Und erst, wenn ich es schaffe, mein Produkt und meine Produktpräsentation auf einer Art und Weise zu gestalten, die nicht nur kompatibel zu den Grundbedürfnissen, sondern auch zu den Glaubenssätzen und Geschichten meiner Zielgruppe ist, habe ich wirklich einen Zugang.
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