‚Leute wie du und ich‘: Zeitzeugen erinnerten an das Leben mit den jüdischen Wolbeckern

Münster – Wolbeck.- Er war Mitglied im Kegelverein „Unne uss“, er gehörte in Wolbeck dazu. Dann wurde Siegfried Heilbronn wie andere seiner Familie als Jude deportiert. Das bisherige Bild der Familie Heilbronn in Wolbeck sei nach einigen Monaten Recherche noch „schemenhaft“, sagte Gudrun Beckmann-Kircher am Montagabend bei einer Gedenkstunde des ökumenischen Kreises „Stolpersteine“.

'Leute wie du und ich': Zeitzeugen erinnerten an das Leben mit den jüdischen Wolbeckern 1Die Zeitzeugen Martha Franke, Heinrich Schwegmann und Bernhard Bussmann erzählten vom Leben besonders dieser Wolbecker Familie und beantworteten im evangelischen Gemeindezentrum Fragen des Moderators Wilfried Sudmann. Wie Peter Schilling vom Verein „Spuren finden“ angekündigt hatte, zeigten sich im Rückblick auf den Nationalsozialismus in Wolbeck „Glanz und Schmerzhaftes“.

"Die Juden waren einfach da" – Wolbeck vor dem Nationalsozialismus

Vor 1933 sei alles ganz normal gewesen. „Die Juden waren einfach da, das war einfach so. Das war doch keine Belastung“, betonte auch  Schwegmann den selbstverständlichen Umgang miteinander. „Gegenseitige Achtung“ habe das Verhältnis geprägt, berichtet er von seinem Vater und Siegfried Heilbronn. Ihrem Vater, ergänzte Franke, gab Viehhändler Siegfried Heilbronn  auch schon mal einen geschäftlichen Tipp. „Das waren Leute wie du und ich.“ Salomon Hoffmann kam auch zum 40-Stunden-Gebet in die katholische Kirche, erinnert sich Schwegmann. „Man lebte miteinander und das ging einfach so.“

Unter dem Nationalsozialismus

Dann kam „Der Stürmer“. Das Hetzblatt des Nationalsozialismus hing in einem Kasten, der zum Kirchplatz wies, so Bussmann. „Fürchterlich, was da alles drinstand“, erinnerte sich Schwegmann. Ein Lehrer, so Franke, sei immer in Uniform gekommen und habe die Kinder zum Stürmer-Kasten gedrängt. Auch in der eigenen Familie habe man sich nicht mehr vertraut, so Franke. Schwegmann betonte die Gefährlichkeit der Situation. Einmal bot Martha Franke der alten Frau Heilbronn an, ihr die Wäsche nach Hause zu tragen. Die lehnte ab: Das sei doch für sie zu gefährlich. Sie tat es trotzdem und die alte Dame dankte ihr nachher voller Sorge, es könnte Franke ins Unglück stürzen.

Um 1935, so Franke, habe sich in Wolbeck gezeigt, wer auf welcher Seite stand. Eines Tages lag die Tora ausgerollt im Wolbecker Straßendreck, zerfleddert, ein Teil um eine Eisenstange bei der Gaststätte Sültemeyer gewickelt.

Von den Konzentrationslagern habe man nichts gewusst, so Schwegmann und Franke. Das Regime gab sich Mühe, seine wahren Absichten als „Arbeitseinsatz“ zu tarnen. Bekannt waren die Aktionen gegen „lebensunwertes Leben“ und die Verhaftung vieler katholischer Geistlicher, erinnerte sich Bussmann.

Gefahr bestand auch für die Nicht-Juden. Bei einem Familienvater erschien kurz vor dem Schützenfest die Gestapo, gemeinsam mit dem denunzierenden Nachbarn. Doch ein anderer Wolbecker hatte ihn gewarnt; er war vorbereitet und wurde nicht verhaftet. Artur Heilbronn konnte auch noch mit anderen musizieren. Einmal musste er hinter der Bühne versteckt werden, als die Wolbecker gewarnt wurden, ein SA-Trupp sei auf dem Weg.

Hilfe fand im Dunkeln und heimlich statt. Da reichten etwa die drei Damen von Lasthaus Fritz Pins das Mittagessen durch die Hecke. Die Pfarrer seien eher nazi-kritisch gewesen, hieß es.

Nach 1945

Nach 1945 habe man die Belasteten gemieden, hieß es. Das Schicksal der jüdischen Nachbarn war lange kein Thema, auch nicht, als belastete Namen in der Politik auftauchten. Die furchtbaren Erlebnisse im Krieg, sagte Schwegmann, im Krieg Gebirgsjäger, und die Toten in der eigenen Umgebung hatten die Weltsicht verändert. Etliche Belastete seien wohl auch im Krieg gestorben.

In den 60ern errichtete man auf dem Rest des jüdischen Friedhofs auf Initiative des Schumachermeisters und Bürgermeisters Hubert Dammann einen Stein mit Namen der Deportierten, ergänzte Alfons Gernholt. Doch von den Grabsteinen ist dort keiner mehr; sie seien wohl in Wolbecker Garagen verbaut worden, meinte Schilling. Der Wolbeck-Historiker Heinrich Schmeken habe noch Drohungen bekommen, sagte Bussmann: Er solle bloß keine Namen nennen.

{mostip}Am Mittwoch um 18 Uhr werden an der Münsterstraße 11 zu den bisherigen 15 Stolpersteinen vier weitere für die Familie Heilbronn hinzukommen. Die Stele am Rest des jüdischen Friedhofs nennt 31 Namen. Für viele werden noch Paten gesucht.{/mostip}