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Grausame Zivilisation

Musik+: Neues Konzertformat für Jugendliche gelingt im Paulinum 15

Europäische „Zivilisation“ stößt auf patagonische: Ein Schreckensbild zeigt das „Tat Sachen Theater“ in dem Stück „Feuerland“. Foto: A. Hasenkamp, Fotograf in Münster.

Münster (agh). An ein nicht so fernes Plätzchen am Ende der Welt entführte am Mittwochabend die Premiere des Figurentheaterstücks „Feuerland“. Im Theater in der „Meerwiese“ in Coerde spielte das „Tat Sachen Theater“ aus Münster seine Sicht der Geschichte Chiles.

„Feuerland“ ist eine Sicht der Geschichte Chiles

Ein Bretter-Steg läuft quer über die Bühne, kahle Stämme ragen im Hintergrund, die teils schwärzliche Holzpuppe steigt in ihr Boot aus Holz und Leder: an der Küste Patagoniens spielt die Geschichte, auch die der alten Frau, die ihre Holzbötchen verkaufen will, die niemand gefragt hat, ober sie Chilenin sein will: Vom Stamm der nun fast verschwundenen Kaweskar ist sie, und dort begann die Geschichte von Kolonisation, Unterdrückung, Fremdbestimmung, Armut, Aufzwingen einer fremden, europäischen Zivilisation: Kleidung und Sitten, Teetrinken, ein Schlips, der das Atmen behindert. Es folgen Antikommunisten, Konterrevolution, CIA, Pinochet, Menschen, die mit Eisenbahnschienen im Meer verschwinden. Ein Folterknecht kam aus einem deutschen KZ. Wo es doch einmal Hoffnung gab, solidarische, sozialistische. Erinnerungen blieben und die Frage, wo die Verschwundenen nun zu Hause sind, und ihre Lebensentwürfe.

TAT SACHEN THEATER arbeitet mit viel Recherche

Was aus dem Mund der alten Bötchen-Verkäuferin kommt, klingt der abstrakten Worte wegen nicht authentisch. Sprachlich nicht authentisch, inhaltlich schon, antwortet der Regisseur, Claudio Ayala: Er spreche viel mit solchen Leuten – sie dächten so, wenn auch nicht in diesen Worten. Viel Recherche gehöre zum Konzept des Theaters.
Die Leistung der Darstellerinnen ist bemerkenswert: Sprechrollen, das ausdrucksvoll-klare Führen der Puppen und des Bootes meistern sie. Es spielten Anna Murböck, wie Ayala in Chile ausgebildet, Frederike Langrock und Franziska Lutz, für den kongenialen Klang sorgt Percussionist Jens Brülls.
Das „Tat Sachen Theater“ „hat noch mehrere Sachen in der Mappe“, so der Regisseur Ayala, erst einmal geht es jetzt auf eine kleine Tournee: im April beim Newcomer-Festival im Pumpenhaus, dann in Hamborn und in Münster-Hiltrup im Welthaus.

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Kommentar:

Mitunter kann man sich in diesem Stück glauben in der Gedankenwelt der Zivilisations-Kritik alter deutscher Provenienz: schlechte Zivilisation versus gute Kultur, edle Wilde gegen verdorbene Kapitalverwerter. Und dann die sozialistische Vision vom „neuen Menschen“. Aber das ist nur ein Aspekt von vielen. Es tut weh, wie in Chile (in dieser Schilderung) Eigenständigkeit unter die Räder kommt. Zumal als besonderer Faktor Jahrzehnte der (faschistischen)  Diktatur hinzukommen, staatlicher vielfacher Mord, Einschüchterung, Terror. Beides ist hier verbunden und nicht recht auseinanderzuhalten: Das Vordringen westlicher „Zivilisation“ und die Diktatur. Ersteres einmal in seiner fragwürdigen Aktion und seinen Folgen in einem so plastisch-menschlich gestalteten Theaterstück dokumentiert und analysiert zu sehen, das wäre ein Gewinn.

Links:

Theater in der Meerwiese: Programm

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