Fluch der Unfreiheit

Münster-Hiltrup. Der König herrscht, absolut und mit Willkür – aber in “Don Karlos” heißt es: aufgepasst! So viel Unfreiheit herrscht am Hofe, auch Königin und sogar König sind unfrei – und unglücklich. “Kerkermeister” nennt die Königin ihren Hofstaat.

Die Unfreiheit schafft Unfrieden, die Menschen verbiegen sich, schmieden Ränke, stellen Fallen, verraten den Freund – teils in bester Absicht. Dies lebendig zu zeigen ist das Verdienst des Ensembles von TheaterTotal, das den zeitlosen Klassiker von Friedrich Schiller am Sonntagnachmittag in einer beeindruckenden, häufig überraschenden Inszenierung in seiner ganzen Spannung zum Leben erweckte.

Spinnefeind sind sich Vater und Sohn aus Argwohn und Eifersucht: Und beide, König und Infant, suchen eines: einen Menschen, einen, dem sie vertrauen, den sie lieben können. Auch das wollte Schiller zeigen, auch das vermittelt TheaterTotal. Obwohl das Geschehen so dicht an Ereignissen ist, die Spannung keinen Moment nachlässt.

Dazu ist alles Überflüssige weggelassen. Die Bühne ist minimalistisch: eine schräge Ebene, ein Königsthron, als Requisiten lange Stangen als Symbole der Gewalt, schwarze Fächer, ein Kreuz. Kein Prunk bei den Kostümen, fast nur schwarz. Der Transporteur des Ausdrucks ist eine ausgefeilte Inszenierung, die Choreographie, sind Mimik und Gestik und die Sprache. Die Fächer: ein Symbol der Vernichtung einer höfischen Existenz. Die Dramatik, das Drohende wächst zum Schluss, aus einem Loch in der Ebene quält sich der König hervor, aus dem Dunkel spricht der Inquisitor, unheil verkündende “Hunde” an der Leine.

Die Schauspieler tun das ihre, auch die Nebenrollen wissen genau, wie sie die Szene unterstützen können, bis ins Detail. Die tragenden Rollen, durchweg textsicher, sind gut besetzt: Der allmächtig-einsame König (Philipp Quest), die beherrscht-aufopfernde Königin (Kirsten Corbett), der impulsive Infant (Christian Heitmann), die Verräterin Eboli (Lea Brindl), und, exzellent, der Marquis de Posa (Leander Gerdes). Auch Alba und der Prior, Pagen, Hofherren und -damen haben würdige Darsteller gefunden.

Gut hundert meist junge Leute zog das Stück in die Stadthalle. Viele waren Schüler aus Dülmen – von dort kommt Heitmann, der hier in Hiltrup seinen ersten Auftritt als Don Karlos hatte.

Auch drei Schülerinnen aus Münster waren dabei – nächstes Jahr ist das Stück Unterrichts-Thema. Einen besseren, begeisternderen Schlüssel zum Werk als diese Inszenierung hätten sie nicht finden können.

Das Projekt "TheaterTotal"

„Für Jugendliche und Erwachsene ist TheaterTotal“, heißt es auf der Website des seit 1996 laufenden Projekts, „die Möglichkeit zu kämpfen, zu lieben, sich durchzusetzen, auf- und abzubauen, zu lachen, sich das Unbekannte, das Neue zu erobern und immer wieder neu zu fragen: Was ist wesentlich?“ Träger des Projektes ist der 1995 gegründete gemeinnützige Verein Theater Macht Mut e.V. Die Teilnehmer bekommen für ein Jahr die Chance, anhand anspruchsvoller künstlerischer Aufgaben Schlüsselqualifikationen zu erwerben, die für jede spätere berufliche Situation grundlegend sind. Das Ziel der Zusammenarbeit von professionellen Künstlern und Jugendlichen bei TheaterTotal ist der Erfolg der jeweiligen Performance oder Theaterproduktion, für deren Gelingen die Teilnehmer Mitverantwortung tragen. Ausgebildet werden sie von Profis, vom Bühnenbildner bis zum Schauspieler.

Hinter dieser Leistung steckt ein konsequent durchgesetzter „roter Faden“, die Regie von Barbara Wollrath-Kramer. Die Jugendlichen kommen aus ganz Deutschland, einige wollen beruflich auf die Bühne, andere Veranstaltungsmanager oder -kaufleute werden.