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Ein Jahr im Alltag der Anderen: Clément und Kim Charlotte setzen Zeichen

Clément Bacholle in Münster auf dem Prinzipal-Markt.

Clément Bacholle in Münster auf dem Prinzipal-Markt.

Austausch beim „Deutsch-Französischen Freiwilligendienst der Gebietskörperschaften“ / Doppelinterview zum Leben in Orléans und Münster

Münster (SMS). Ein kräftiger Kulturschock, die Auszeit im fremden Land, der engagierte Einsatz für die Städtepartnerschaft – oder vielleicht doch irgendwie von allem etwas? Kim Charlotte Amelung (22) und Clément Bacholle (22) tauchen aktuell in das Alltagsleben des Pendants ein: Beide unterstützen über den „Deutsch-Französischen Freiwilligendienst der Gebietskörperschaften“ für die Dauer eines Jahres (September 2022 bis August 2023) die kommunalen Verwaltungen in Münster und Orléans, hier insbesondere die städtepartnerschaftlichen Bemühungen. Im Doppel-Interview sprechen beide über ihre Beweggründe und erläutern, wie sich ihr Alltag gestaltet.

Auslandserfahrungen wollen viele junge Menschen sammeln. Weshalb ging es für Sie „gleich ums Eck“ nach Orléans in Frankreich beziehungsweise Münster in Deutschland?
Kim Amelung: Ich habe bereits in meiner Schulzeit Auslandserfahrungen in einem etwas ferneren Land, nämlich Brasilien, gesammelt. Dort habe ich ein Jahr verbracht und mein Interesse für andere Sprachen und Kulturen entdeckt. Jetzt ging es mir nicht darum, einfach irgendwo anders Luft zu schnuppern, vielmehr wollte ich mich nun für internationale Zusammenarbeit und Begegnungen engagieren. Dies leitete mich dann – insbesondere in Zusammenhang mit meinem Interesse für das Savoir-vivre, die französische Sprache sowie die Städtepartnerschaft zwischen Münster und Orléans – „gleich ums Eck“ nach Orléans!
Clément Bacholle: Ich glaube nicht, dass junge Franzosen oder Deutsche während ihres Studiums so oft ins außereuropäische Ausland gehen. Die meisten gehen im Rahmen des Erasmus-Programms in eine europäische Großstadt wie Paris, Berlin oder Barcelona. Ich denke jedoch, dass die Entscheidung, in eine kleine oder mittelgroße Stadt zu gehen und nicht in eine globalisierte Großstadt, viel exotischer ist. Ich persönlich habe mich für Münster entschieden, weil ich Deutschland nur aus Berlin oder München kannte, die beide sehr kosmopolitische Großstädte sind. Ich wollte wirklich ein anderes Deutschland kennenlernen, das der mittelgroßen Städte, das authentischer ist und in dem ich mich weniger zurechtfinden würde. Außerdem ist Westfalen eine Region, die ich überhaupt nicht kenne – und ich würde mich sehr freuen, sie zu entdecken.

Gab es bereits einen größeren „Kulturschock“ im ersten Monat vor Ort, also unerwartete Eigenarten oder überraschende Rahmenbedingungen?
Bacholle: Ich habe bereits ein Jahr in Berlin gelebt und war nicht sonderlich überrascht. Vielleicht ist die Allgegenwärtigkeit von Fahrrädern, die noch offensichtlicher ist, etwas, das mich fasziniert. Aber auch die Fahrradparkplätze, die mir sehr modern erscheinen. Was die Sprache betrifft, hatte ich keine großen Probleme, Deutsch zu verstehen, und ich kann mich gut ausdrücken, auch wenn ich noch auf einige Schwierigkeiten stoße.
Amelung: Da ich bereits ein „Erasmus+“-Semester in Montpellier verbringen durfte, waren mir viele typische Aspekte der französischen Kultur bereits bekannt, weshalb ich hier in Orléans keinen größeren Kulturschock erlebt habe.

Fühlen sich die ersten Wochen im neuen Umfeld ein bisschen wie Urlaub mit Arbeitseinsätzen an – oder sorgt all das Neue doch für gewaltigen Stress?
Amelung: Anfangs gibt es natürlich viel Organisatorisches zu erledigen, was stressen kann, aber die vielen schönen neuen Erlebnisse und Bekanntschaften, die man macht, würde ich keineswegs als Stressfaktor bezeichnen. Das Gefühl des Urlaubs hängt ein wenig mit dessen Definition zusammen – ich arbeite täglich sieben Stunden, was natürlich so kein Urlaub ist. Dennoch erweckt der Charme einer französischen Stadt immer wieder Urlaubsgefühle in mir.
Bacholle: Es stimmt, dass man nicht so unter Druck steht wie ein Angestellter oder ein Praktikant. Wir müssen weniger Ergebnisse erzielen und arbeiten viel (24 Stunden pro Woche für meinen Teil). Es ist zwar nicht unsere Aufgabe, die Arbeit eines Angestellten der Stadtverwaltung zu erledigen, aber man behält trotzdem einen Arbeitsrhythmus bei, indem man jeden Tag im Büro anwesend ist. Wir tragen verschiedene Projekte, die jeweils eine gewisse Investition erfordern. Kurz gesagt: Ich bin trotz des Anscheins gut beschäftigt.

Haben Sie sich denn jemals zuvor mit Städtepartnerschaften und ihren Themenfeldern beschäftigt?
Bacholle: Ich wusste, dass es eine Städtepartnerschaft gibt, aber ich habe mich nie dafür interessiert, wie diese Verbindung konkret aussehen könnte. Bis kurz vor dem Freiwilligendienst wusste ich nicht einmal, dass es so viele Projekte zwischen Partnerstädten gibt.
Amelung: Vor meinem Freiwilligendienst habe ich mich leider noch nicht mit Städtepartnerschaften auseinandergesetzt. Dafür gibt es keine konkreten Gründe, ich habe einfach nicht viel darüber gewusst.

Mit heutigem Blick: Weshalb ist ein solcher Austausch bedeutsam?
Amelung: Städtepartnerschaften ermöglichen einen Austausch, der in vielerlei Hinsicht wichtig ist. Zum einen wird ein sprachlich, kultureller Austausch ermöglicht, der es erlaubt, viel über das andere Land zu lernen und Weltoffenheit und interkulturelle Kompetenz zu erwerben. Zum anderen wird ein fachlicher Austausch ermöglicht, der es erlaubt, sich über aktuelle Themen wie zum Beispiel die Mobilität in den beiden Städten auszutauschen und vom jeweils anderen Land zu lernen. Darüber hinaus existieren natürlich noch viele weitere Möglichkeiten des Austauschs. All diese erlauben es, die deutsch-französische Freundschaft zu stärken, das Gefühl europäischer Einheit zu vermitteln und damit den Frieden aufrechtzuerhalten.
Bacholle: Die Städtepartnerschaft zwischen einer französischen und einer deutschen Stadt, Münster und Orléans, ermöglicht es meiner Meinung nach, die deutsch-französische Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union auf eine lokale und für die Bürger konkretere Ebene zu bringen. Es ist eine weniger abstrakte Art und Weise, die Partnerschaft zwischen den beiden Ländern zu leben: Man trägt Projekte und mögliche Probleme, die die Bürger direkt betreffen, in den Vordergrund. Beispiele hierfür sind Überlegungen zu Verkehr, Recycling oder der Austausch zwischen den Gedenk- und Kulturstätten in jeder Stadt.

Ein ganzes Jahr lang wollen Sie diese Städtepartnerschaft nun stärken und mit Projekten wie Aktionen unterstützen – was haben Sie sich da vorgenommen?
Bacholle: Wir stehen erst am Anfang unseres Freiwilligendienstes, aber es zeichnen sich bereits einige Projekte ab. Kim und ich möchten eine Veranstaltung im Rahmen der deutsch-französischen Tage im Januar organisieren. Ich werde das Internationale Büro bei der Organisation der „Twin City Games Münster“ unterstützen, bei denen Jugenddelegationen aus jeder Partnerstadt Münsters in Sportspielen verschiedene Themen zum Jubiläum des Westfälischen Friedens behandeln.
Amelung: Konkret würde ich gern gemeinsam mit Clément ein neues Projekt im Rahmen der Städtepartnerschaft konzipieren, die Ideen dafür entwickeln sich peu à peu.

Konkret: Was macht Münster/Orléans, Stand heute, aus Ihrer ganz persönlichen Sicht aus?
Bacholle: Erstens das Fahrrad und zweitens die Kirchen. Es ist ganz einfach: Überall gibt es Fahrräder und Kirchen. Das sind für mich sehr positive Punkte, denn die Tatsache, dass ich mich so einfach und überall mit dem Fahrrad fortbewegen kann, gibt mir wirklich ein Gefühl von Freiheit. Und auch die Anzahl der Kirchen zeugt von einem äußerst reichen architektonischen Erbe, das trotz der Kriegszerstörungen zur Geltung gebracht werden konnte.
Amelung: Für mich persönlich machen Orléans aktuell die vielen netten Leute aus sowie die schönen Straßen und der Place du Martroi, da ich ihn immer überquere, wenn ich meine Wohnung mitten im Zentrum Orléans verlasse. Ich bin mir aber sicher, dass da in den kommenden Wochen und Monaten noch einiges hinzukommen wird.

Trauen Sie sich bereits eine längere Stadtführung für Freundinnen und Freunde in Ihrer Wahlheimat zu?
Amelung: Da ich erst seit knapp zwei Wochen in Orléans bin, habe ich längst noch nicht alles gesehen, was es zu entdecken gibt und würde es daher bevorzugen, die Stadtführung noch um einen Monat zu verschieben! Es stehen viele Dinge auf meiner Liste, die ich erst mal noch selbst in Orléans entdecken möchte.
Bacholle: Ich bin mir nicht sicher, ob ich für eine lange Stadtführung bereit bin, aber als Geschichtsliebhaber habe ich mich schon ein wenig mit der Geschichte von Münster beschäftigt und in drei Wochen habe ich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt und einige Museen besucht. Ich denke, ich könnte eine kleine Tour durch das Stadtzentrum mit ein paar Kommentaren machen…

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Infos zu Clément Bacholle:
Hilft bei der Einbürgerung, berät in Verfahrensfragen und unterstützt zudem im Austausch mit Münsters Partnerstädten, insbesondere Orléans: Clément Bacholle (Lyon/Frankreich) ist seit mehr als einem Monat Teilzeit-Münsteraner. Sowohl an der Berliner Humboldt Universität, als auch der Université Paris Panthéon-Assas studiert der junge Mann Jura – im Fokus das Doppel-Diplom, sprich: der gleichwertige deutsche wie französische Abschluss. In den ersten Wochen kam er bei einer Gastfamilie unter, nun hat er das Zimmer von Kim Amelung übernommen. In der münsterschen Stadtverwaltung begleitet er die Arbeit im Amt für Bürger- und Ratsservice, nimmt aber auch an Aktivitäten des Büros Internationales teil.

Infos zu Kim Charlotte Amelung:
Reichlich Auslandserfahrung hat sie schon (mit) nach Orléans gebracht, aber auch längst jede Menge münsterscher Heimat eben dort hinterlassen: Kim Charlotte Amelung lebt aktuell in einer WG mitten in Münsters Partnerstadt Orléans. Die Münsteranerin – 2-Fach-Bachelor-Studentin (Französisch und Spanisch auf Lehramt) und zwischenzeitlich studentische Hilfskraft am Sprachenzentrum der Westfälischen Wilhelms-Universität – entwickelt vor Ort Projekte zu Städtepartnerschaften, nicht nur, aber auch zur besonderen Verbindung von Orléans und Münster, dies dann auch in Kooperation mit ihrem hiesigen Pendant Clément Bacholle.

Infos zum Austauschprogramm:
Ziele des Freiwilligendienstes sind unter anderem die Entwicklung neuer Deutsch-Französischer Projekte, die Stärkung der Mobilität von jungen Menschen in Europa, vor allem aber: bestehenden Partnerschaften wieder eine größere, auch neue Bedeutung zu geben. Oberbürgermeister Markus Lewe und sein Dezernat sind mit voller Unterstützung dabei: „Seit über 60 Jahren besteht die Städtepartnerschaft zwischen Orléans und Münster, dieser langjährigen Freundschaft wird auf unterschiedliche Weise Rechnung getragen. Schon zum dritten Mal stellt die Stadt Orléans eine Freiwillige ein – da dies nicht nur für die deutsch-französischen Beziehungen im Allgemeinen, sondern ganz konkret auch für die partnerschaftlichen Initiativen und die Freundschaft unserer beiden Städte ein wichtiges Zeichen ist, hat sich Münster ebenfalls mit einer Ausschreibung beteiligt.“

Das Programm wird vom Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) und der AFCCRE (Association francaise du Conseil des Communes et Régions d’Europe) organisiert und koordiniert. Die nächste Ausschreibung für den Austausch 2023/24 erfolgt voraussichtlich im Februar/März des kommenden Jahres. Freiwillige sind sozialversichert, erhalten finanzielle Unterstützung vom federführenden französischen Staat und der jeweiligen Gebietskörperschaft, aber auch Sachleistungen und praktische Hilfen bei der Gestaltung des neuen Alltags. Weitere Informationen unter https://volontariat.ofaj.org/de

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