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Corona: „Handeln der Münsteranerinnen und Münsteraner bestimmt Verlauf der Dinge“

Krisenstabsleiter Wolfgang Heuer und Gesundheitsamt-Chef Dr. Norbert Schulze Kalthoff

Krisenstabsleiter Wolfgang Heuer und Gesundheitsamt-Chef Dr. Norbert Schulze Kalthoff. Fotos: Stadt Münster.

Interview mit Krisenstabsleiter Wolfgang Heuer und Gesundheitsamt-Chef Dr. Norbert Schulze Kalthoff

Münster (SMS). Seit Anfang 2020 bestimmen diverse Coronaschutz-, Betreuungs-, Impf- wie Test-und-Quarantäne-Verordnungen den Alltag der Bürgerinnen und Bürger. Auch die Ämter der münsterschen Stadtverwaltung müssen sich in dieser Pandemie mit zahllosen von der Politik vorgegebenen Paragraphen und Änderungen befassen, diese oftmals binnen Tagesfrist umsetzen. Wolfgang Heuer, Leiter des münsterschen Krisenstabs, und Gesundheitsamt-Leiter Dr. Norbert Schulze Kalthoff nehmen Stellung zum Status Quo – zwei Jahre nach dem ersten Corona-Fall in Münster.

Die Infektionszahlen steigen stetig, täglich werden im Schnitt mehr als 500 Neuinfektionen von der Stadt gemeldet. Trotzdem stehen nun umfangreiche Lockerungen bevor. Wie passt das zusammen?

Heuer: Es ist kennzeichnend für die bisherige Pandemie, dass sie in Wellenbewegungen abläuft – mit Anstiegen, Höhepunkten und dann auch wieder stark abnehmenden Infektionszahlen. Im Moment sieht es so aus, als hätten wir den Scheitelpunkt der Omikronwelle erreicht, seit einer Woche sinken die Zahlen. Zugleich sind Krankenhäuser und der Pflegebereich durch Personalausfälle stark belastet, aber auch hier bin ich zum weiteren Verlauf optimistisch. Dank Impfbereitschaft der Bevölkerung und dem hohen Einsatz der Mitarbeiter/innen vor allem im Gesundheitswesen konnte Omikron besser bewältigt werden als befürchtet. Daher sind schrittweise Lockerungen jetzt auch möglich, trotz der noch hohen Infektionszahlen. Allerdings wissen wir aus den letzten zwei Jahren, dass nie vollständige Prognosesicherheit zum Verlauf der Pandemie besteht und daher in veränderten Lagen auch flexible Entscheidungen erforderlich werden können.

Wie lässt sich in diesem Zusammenhang erklären, dass die bisher beachtliche Impfbereitschaft in Münster nun schlagartig nachlässt?
Schulze Kalthoff:
 Es verwundert nicht, da inzwischen ja ein gewisser Sättigungseffekt eingetreten ist. Immerhin sind bei den Menschen, die überhaupt geimpft werden können, in Münster bereits etwa 93 Prozent vollständig geimpft und etwa 75 Prozent haben eine Boosterung erhalten. Damit steht Münster im bundesweiten Vergleich sehr gut dar. Besonders wichtig ist dabei die Betrachtung der Personengruppe der 60-Jährigen und Älteren. Hier sind nämlich in Münster über 98 Prozent vollständig geimpft, ca. 89 Prozent haben bereits eine Auffrischung erhalten. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass es mittlerweile rund 36.500 gemeldete Infektionsfälle in Münster gibt. Diese Personengruppe dürfte ein erhöhtes Sicherheitsgefühl entwickelt haben, da sie ja bereits eine Infektion überstanden hat und sich dadurch geschützter fühlt. Gerade die dominierende Omikron-Variante hat ja glücklicherweise meist weniger schwere Krankheitsverläufe hervorgerufen.

Ein bloßes Versorgungsproblem liegt also nicht vor? 
Schulze Kalthoff: Inzwischen gibt es keine Engpässe mehr. Es können kurzfristig zahlreiche Impfangebote in Impfstellen und Arztpraxen für alle Menschen ab dem 5. Lebensjahr wahrgenommen werden. Eine nächste Sonderimpfaktion findet am Mittwoch, dem 23. Februar, von 13.30 Uhr bis 16.30 Uhr am Stadthaus 2 (Ludgeriplatz) statt. Geplant sind weiterhin aufsuchende, niederschwellige Angebote in Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften. Seit rund einer Woche können auch die zweiten Auffrischimpfungen für Personen über 70 oder mit nachgewiesener Immunschwäche in der kommunalen Impfstelle am Albersloher Weg verabreicht werden, wenn die letzte Impfung mindestens drei Monate zurückliegt. Termine können über www.impfen.ms gebucht werden. Sobald der neue Novavax-Impfstoff zur Verfügung steht, werden auch dafür Impfmöglichkeiten geschaffen. Damit wird in den nächsten Tagen gerechnet.

Vor ziemlich genau zwei Jahren wurde der erste Infektionsfall in Münster registriert – seitdem tagt auch der Corona-Krisenstab, mittlerweile zum 110. Mal. Wo hatten und haben Sie überhaupt Möglichkeiten des Zugriffs und der Beeinflussung dieser pandemischen Lage in der Stadt?
Heuer: Ganz zu Beginn der Pandemie lag die Verantwortung für die damaligen, sehr weitreichenden Lockdown-Maßnahmen ja größtenteils bei den Kommunen und konkret beim Krisenstab der Stadt. Das hat sich dann richtigerweise rasch geändert, seither ist vor allem das Land NRW verantwortlich für die allermeisten Schutzmaßnahmen. Diese bilden quasi einen Rahmen, der vor Ort angewendet bzw. ausgefüllt werden muss. Dabei hat sich der Anteil der lokalen Verantwortung in den zwei Jahren auch immer wieder verändert. Mit dem Krisenstab haben wir zum Glück ein Netzwerk zur Verfügung, in dem Verantwortliche aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen – auch von außerhalb der Stadtverwaltung – eng zusammenarbeiten und so gut begründete Entscheidungen treffen. Grundsätzlich bleibe ich bei meiner Einschätzung vom Beginn der Pandemie: Es ist das Handeln der Münsteranerinnen und Münsteraner selbst, das am Schluss den Verlauf der Dinge bestimmt. Gut informierte und solidarisch handelnde Menschen wissen, wie sie sich und andere vor dem Virus so gut es geht schützen können. Und sie tun es auch. Der städtische Krisenstab muss dafür lokal die materiellen und auch kommunikativen Voraussetzungen schaffen. Das ist in Münster in den letzten zwei Jahren nach meiner Wahrnehmung weitgehend gelungen.

Welchen Anteil an der aktuellen Lage haben die Bürgertestungen in Münster?
Schulze Kalthoff: In Münster lassen sich weiterhin beeindruckend viele Menschen in den Bürgerteststellen testen, obwohl sie keine typischen Krankheitssymptome aufweisen. In der letzten Woche (7.KW) waren das 117.800 Personen. Dabei zeigte sich eine Positivrate von fast 3 Prozent. Zum Vergleich: in der letzten Woche des letzten Jahres ließen sich 110.096 Menschen testen. Damals lag die Positivrate bei 0,3 Prozent, also zehnmal niedriger! Das ist ein deutlicher Hinweis auf eine sogenannte Endemisierung der Pandemie, in dem inzwischen deutlich mehr Menschen unterschwellig infiziert sind. Offensichtlich ein Effekt, der durch die Omikron-Variante stark beschleunigt wurde. Durch das „Frühwarnsystem“ Bürgerteststelle können infizierte Menschen frühzeitig identifiziert werden und ihre Kontakte reduzieren. Besonders gefährdete Menschen werden so besser geschützt.

Trotz aller Information und Aufklärungsarbeit führen Kritiker nach wie vor an, dass angesichts hoher Infektionsraten bei Geimpften die Impfstoffe gar nicht helfen würden. Was können und wollen Sie da noch entgegnen?
Schulze Kalthoff: Die zugelassenen Corona-Impfstoffen schützen und nützen! Sie schützen den Geimpften vor einem schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf und nützen der Allgemeinheit vor einer Überlastung des Gesundheitssystems und senken zudem die Ansteckungswahrscheinlichkeit. Hoffentlich überwinden die noch vorhandenen Impfskeptiker durch die neue Impfstoffklasse („Novavax“) endlich die Hemmschwelle zur Impfung, damit wir auch in Deutschland bald wieder so gelockerte Verhältnisse wie in Dänemark erleben können.

Jetzt steht Karneval vor der Tür: Schunkeln ist unter Bedingungen erlaubt, Tanzen nicht. Die Maskenpflicht soll bald schon fallen, aber schon die bloße Ankündigung sorgt dafür, dass die Masken jetzt vielfach nicht mehr getragen werden. Sprich: Die steten Änderungen und oftmals widersprüchlich wirkenden Neuregelungen können oder wollen viele Menschen nicht mehr nachvollziehen. Sie stehen aber in der Verantwortung, müssen Gesetze und Regelungen von Bund und Land in der Stadt umsetzen…
Heuer
: Das stimmt. Viele Menschen tun sich inzwischen schwer, die unterschiedlichen Regeln und auch die politischen Diskussionen zu verstehen oder gar nachzuvollziehen. Das ist nach zwei Jahren anstrengender Pandemie und den vielen Wendungen, die das Thema in dieser Zeit genommen hat, auch verständlich. Wer Verantwortung trägt, muss sich davon allerdings so weit wie möglich freimachen. Es geht im Kern nach wie vor darum, gesundheitlich besonders gefährdete Menschen bestmöglich zu schützen vor dem Virus. Covid-19 stellt für diese Menschen eine tödliche Gefahr dar. Deren Schutz ist die Aufgabe. Rücksichtnahme und Solidarität sind hierfür weiterhin die wertvollen sozialen Grundlagen, um die Auswirkungen von Covid-19 erfolgreich eingrenzen zu können. Der Stellenwert der Impfung kann dabei nicht hoch genug angesetzt werden. Und immerhin: Wir sind aktuell auf einem guten Weg hin zur endemischen Phase. Dabei wird uns die Gleichzeitigkeit von zurück erlangter Normalität und weiter bestehenden Einschränkungen noch eine Zeitlang herausfordern. Der nur begrenzt mögliche Karneval mag dafür als ein aktuelles Beispiel stehen.

Nun müssen Sie sich aber auch noch mit dem Thema einrichtungsbezogene Impfpflicht beschäftigen. Wieviel Arbeit kommt da gerade noch zusätzlich auf Sie zu?
Schulze Kalthoff:
 Dieses bis zum Jahresende befristete Gesetz stellt eine große Herausforderung für die ausführenden unteren Gesundheitsbehörden und die Arbeitgeber der betroffenen Einrichtungen dar. Am 18. Februar hat das MAGS NRW einen ersten 12-seitigen Erlass zur Umsetzung des § 20a Infektionsschutzgesetz herausgegeben.  Das ist ein wichtiger Schritt zur Harmonisierung des Vorgehens und zur Schaffung eines rechtssicheren Verfahrens. Es bleibt aber noch viel vorzubereiten. Es fehlen eine passende digitale Meldeplattform, geschulte Mitarbeitende und ein im Detail geklärtes Verfahren.  Den jeweils aktuellen Stand in Münster zu dem Thema können Sie auf der Homepage des Gesundheitsamtes finden: https://www.stadt-muenster.de/gesundheit/infektionsschutz/impfempfehlungen.

Wagen Sie Prognosen zum Münster im Sommer 2022 und dem folgenden Winter?
Schulze Kalthoff:
 Wir werden in Münster weiterhin für ein gutes und flächendeckendes Impfangebot sorgen. Das dürfte durch impfwillige Apotheken und Zahnarztpraxen in Zukunft leichter werden. Ich gehe davon aus, dass wir langfristig mit den Coronaviren und ihren neuen Varianten leben müssen, so wie wir es mit der saisonalen Grippe schon lange gewohnt sind. Ideal wäre dann eine einmal jährliche Kombinationsimpfung gegen Influenza und Corona, mit einem jeweils angepassten Impfstoff. Hoffentlich ist die Wissenschaft bald so weit, damit die seit zwei Jahren bestehenden Kontaktbeschränkungen in absehbarer Zeit weitgehend aufgehoben werden können.

Heuer: Die Erfahrung spricht dafür, dass wir mit der warmen Jahreszeit wieder eine sehr deutliche Reduzierung des Infektionsgeschehens und der damit zusammenhängenden Folgen erleben werden. Anders als in den letzten beiden Jahren sollte die Zeit bis zum Herbst aber genutzt werden, ein konkretes Handlungsprogramm für einen möglichen Wiederanstieg der Infektionen zu erarbeiten bzw. zu verabreden. Das ist insbesondere eine Aufgabe der Bundespolitik. Die Menschen werden sich dauerhaft auf eine eigenverantwortliche Rolle einstellen müssen, bei der einerseits die Frage nach der Schutzimpfung zu beantworten ist und andererseits bestimmte niedrigschwellige „Spielregeln“ im Alltag auch weiterhin Bestand haben werden. Das Leben mit dem Virus wird dann hoffentlich nicht viel anders sein, als das Leben vor der Pandemie.

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