Improvisation als Sprechen über Bruckner

Sendenhorst. Der Sendenhorster Orgelherbst folgt bislang einer religiösen Leitidee: Waren die vom Essener Domorganist Jürgen Kursawa gewählten Werke meist am Titel als Gotteslob zu erkennen, so prägte das Programm von Robert Kovács ein nicht gleich augenscheinlicher, aber um so innigerer Bezug. Was er am Sonntagabend in St. Martin meisterhaft bot, waren Lebensstationen, Gefühlslagen, Momente besonderer Lebenserfahrung und Lebenshaltung.

Das ist bei Bachs dritter Sonate d-Moll zunächst das Ruhen im Andante, das nach dem gefundenen süßen Seelenfrieden des Largo e dolce im Vivace freudig und kraftvoll aufstrebt und darin das zweithematische Grundmotiv des Andante aufgreift.

Felix Mendelssohn Bartholdys vierte Sonate B-Dur ist die heiterste unter seinen Sonaten und doch im ersten Satz von Strenge und Ernst gekennzeichnet; die Linie schwingt sich rauschend auf. Dem menschlichen Taumel an dessen Ende folgt ein meditativer zweiter Satz, einem einstimmigem Gesang von großer Klarheit ähnlich. Der Bach’schen Klarheit und Entfaltung laufen das Allegretto und Allegro maestoso nur hinterher – zu wenig Akzent ist hier, zu viel Rauschen.

Melodiebetont schafft in einem Sprung zur Polyphonie César Franck  entspannende Harmonie wie Bach, doch mit ganz anderen Mitteln.

Olivier Messiaen setzt im Diptyque in zwei Teilen an,  irdisches Leben und Glückseligkeit  zu kontrastieren. Der Part der irdischen Unruhe überzeugt. Disharmonien und letztlich zielloses Auf und Ab der irdischen Tretmühle treten bildhaft vor Augen. Der himmlische Part, das Thema des ersten Parts stark, aber lentissimo fortführend, signalisiert Entspannung, aber kaum Entfaltung.

„Improvisation ist wie Reden über ein Stück“, sagte Kovács. Und griff sich aus dem Werk jenes Komponisten aus der Motette „Locus iste“ die Kopf-Themen, der für  seine, Kovács’, Haupt-Wirkungsstätte steht, das Stift St. Florian. Dort in Oberösterreich wurde Bruckner nach dem Tod des Vaters Sängerknabe, dort liegt er in der Krypta unter der Orgel begraben. Große Bögen kennzeichnen Bruckners Präludium wie das von Kovács improvisierend verarbeitete Locus iste.

Mit den Themen der unaufhörlich nach Hilfe rufenden Verzweiflung und der Ekstase, die Jehan Alain nach dem Unfalltod seiner Schwester kompositorisch umsetzte, wählte Kovács einen unharmonischen Schluss. Alain bot ihm hier Gelegenheit, seine große technische Fertigkeit an der Woehl-Orgel zu zeigen.

Robert Kovács stammt aus Ungarn. Mit fünf Jahren erhielt er ersten Klavierunterricht und begann mit elf zusätzlich das Orgelspiel. Nach dem Musikstudium am Konservatorium in Budapest studierte er gemeinsam mit Benedikt Bonelli an der ehemaligen Hochschule für Musik und belegte die Fächer  Kirchenmusik und Konzertfach Orgel.

Kovács schloss das Studium mit Auszeichnung ab, gewann mehrere Preise und war 2004 Finalist beim Internationalen Orgelimprovisations-Wettbewerb in Haarlem.

Auf die Leitidee des dritten und letzten Konzerts dieses Orgelherbstes, von Oboe und Orgel bestritten, darf man gespannt sein. Dann kommt auch der erste weibliche Komponist dieser Reihe zum Zuge.
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